SadK #1 – Arbeiten beim Lieferservice

Jede Woche ein anderer Schichtplan. Am Freitag noch nicht wissen, wann man Montag zur Arbeit muss und wie lange. Mal nur vier, mal sechs, mal acht Stunden. Und auf der Arbeit immer dasselbe. Was den Unterschied macht, ist das Wetter. Bei Sonnenschein macht es Spaß, mit dem E-Bike durchs Viertel zu fahren. Zumindest, wenn das Fahrrad nicht kaputt ist. Deshalb jedes Mal bei Schichtbeginn versuchen, das Beste zu ergattern. Bremsen prüfen, Luftdruck prüfen, Gangschaltung prüfen… Nur damit sich bei der ersten Fahrt herausstellt, dass doch etwas nicht funktioniert. Und das kann gefährlich werden im Stadtverkehr. Zwischen Baustellen und LKWs, roten Ampeln und Rasern, öffnenden Autotüren und immer mit dem Zeitdruck im Nacken. Aber unsere Sicherheit ist zweitrangig. Hauptsache, die Lieferung ist innerhalb von Minuten beim Kunden.

Zurück zum Wetter. Das Thema ist auf der Arbeit mehr als Smalltalk. Wenn es regnet, ist es einfach nicht angenehm, den ganzen Tag auf dem Sattel zu verbringen. Die Arbeitskleidung, die uns zur Verfügung gestellt wird, ist billig und hält nicht viel aus. Deshalb liegen in der Pause die nassen Sachen zum Trocknen auf der Heizung. Manche Kollegen wickeln sich auch Mülltüten um die Schuhe, damit diese trocken bleiben. Schuhe kriegen wir nämlich nicht gestellt, wir müssen unsere eigenen tragen. Wechselkleidung haben wir gemeinsam gesammelt. Alte Tshirts, Pullover und Hosen liegen in einer Kiste, aus der sich jeder bei Bedarf was nehmen kann. Aber nicht nur der Regen ist ein Problem, sondern auch der Wind und die Kälte. Nach vielen Beschwerden und viel zu spät haben wir Winterkleidung bekommen. Mitte Dezember. Dabei wurde sie bereits im Herbst angekündigt und wir hätten sie schon damals benötigt. Also ist eigentlich nicht das Wetter das Hauptproblem, sondern wie wir dafür ausgestattet werden.

Wenn man sich beschwert, darf man sich natürlich anhören, dass man sich diesen Job ja ausgesucht hätte und wenn es einem nicht passe, man wohl nicht dafür gemacht sei. Dass man kein richtiger „Rider“ ist. Soll wohl heißen, dass man nicht jemand ist, der alles mit sich machen lässt, nur weil er auf den Lohn angewiesen ist – obwohl man genau deshalb ja schon eine ganze Menge mitmacht. Vor allem die Kollegen, die sonst kaum einen Job finden würden. Kollegen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die erst seit einigen Jahren hier leben. Die nicht ausreichend Deutsch sprechen und deren Abschlüsse hier nicht anerkannt werden. Kollegen mit Familien hier oder in ihrer Heimat, die sie unterstützen müssen. Ihre Situation wird noch schamloser ausgenutzt, als die von den deutschen Kollegen. Sie kennen ihre Rechte nicht, und wenn sie sich für sie einsetzen, riskieren sie ihren Arbeitsplatz und vielleicht sogar ihren Aufenthaltsstatus. Also wird die Unzufriedenheit hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen, oder sich damit getröstet, dass es ja dort wo man herkommt noch viel schlimmer sei.

Ein anderes Mittel des Unternehmens, die Kampfbereitschaft zu begrenzen und die Organisation der Arbeiter zu verhindern, sind die befristeten Verträge, die langen Probezeiten und die ständig wechselnde Belegschaft. Viele Leute kommen und gehen, arbeiten ein paar Monate dort, bis sie etwas Besseres gefunden haben. Man kann es ihnen nicht übel nehmen. Nach einem halben Jahr klagt jeder über Knie- oder Rückenschmerzen, ist genervt von der Schichtplanung, genervt von den Kunden, die zu faul sind, um selber einkaufen zu gehen und kein Trinkgeld zahlen, genervt von der Zentrale, die ständig neue Maßstäbe setzen will. Das Liefergebiet wird vergrößert, sodass die Strecken länger werden, die Anzahl an Lieferungen pro Fahrt wird erhöht, weit über das gesetzliche Maximum von 10 Kilo, das Sortiment um Mineralwasser in Glasflaschen und Katzenstreu erweitert, um mehr Kunden anzuziehen… Für uns bedeutet das mehr Stress, mehr Last auf unseren Rücken und verärgerte Kunden, weil wir den vorgegebenen Zeitplan unmöglich einhalten können.

Die Arbeit wird also intensiver gemacht, damit mehr Profit aus uns herausgepresst werden kann. Um uns das schmackhaft zu machen, wurde ein „Bonussystem“ eingeführt. Man wird jetzt „belohnt“, wenn man ein bestimmtes Limit an Lieferungen pro Stunde überschreitet. Natürlich kriegt man trotzdem seinen Mindestlohn, der ist ja gesetzlich festgeschrieben (was auch zeigt, dass der Staat die Unternehmen zwingen muss, den Arbeitern überhaupt genug Geld zum Überleben zu zahlen). Aber der Mindestlohn reicht ja auch gerade mal dafür aus, zum Überleben. Deshalb ist das „Bonussystem“ eigentlich nur ein Mittel, um von uns noch mehr Leistung zu verlangen, damit unser Lohn dann etwas über dem Existenzminimum liegt. Das ist nicht vergleichbar mit den Boni, die sich unsere Chefs auszahlen, wenn wir mal wieder richtig gut für sie geschuftet haben. Und das Bonussystem spaltet die Belegschaft, verschärft die Konkurrenz der Kollegen untereinander. Wenn zu wenig Lieferungen da sind, streiten sich einige darum. Es nützt also dem Unternehmen weit mehr als uns.

Es gab und es gibt Versuche sich gegen diese Arbeitsbedingungen zu wehren. Es gab wilde Streiks einiger Filialen vor ein paar Jahren, es wurde erfolgreich ein Kampf um die Gründung von Betriebsräten geführt. Viele Kollegen haben dabei ihre Jobs verloren, wurden gefeuert oder rausgeekelt. Geändert hat sich im Prinzip nicht viel. Es finden sich in dieser Gesellschaft zu viele Leute wie wir, die darauf angewiesen sind ihre Arbeitskraft im Niedriglohnsektor zu verkaufen. Erfolgreich kann man sich nur wehren, wenn man zusammenhält. Sich nicht spalten lässt und sich angemessen organisiert. Wir müssen verstehen, dass wir gemeinsame Interessen haben. Nicht nur die Lieferfahrer eines Unternehmens, oder die Lieferfahrer verschiedener Unternehmen. Sondern alle abhängig Beschäftigten. Wir alle, die ihre Arbeitskraft an ein Unternehmen verkaufen müssen, das mit unserer Arbeit Profit macht für seine Eigentümer.

Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne ist nur der Anfang für eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse. Das Prinzip Profit zu machen muss ersetzt werden, durch eine Wirtschaft, in der für unsere Bedürfnisse produziert wird und in der wir selbst darüber bestimmen was, wann, wie und wo produziert wird. Das geht nur gegen einen Staat, der diese Profitmacherei erlaubt und mit seinen Gesetzen dafür sorgt, dass diese möglichst reibungslos abläuft. Wir müssen das System abschaffen, dass auf unserer Armut beruht und sie immer wieder neu hervorbringt!