Eine Stimme aus dem Rettungsdienst
Im Rettungsdienst gibt es grob gesagt zwei Aufgabenbereiche: Den Transport von Notfällen und den von „nur“ kranken Patienten. Dieser Transport kann durch einen öffentlichen Dienst (z.B. Bundeswehr), durch gemeinnützige Organisationen (z.B. DRK) oder durch Privatunternehmen (z.B. Falk) betrieben werden. Ich war für eine gemeinnützige Organisation auf einem KTW (Krankentransportwagen) unterwegs.
Eigentlich kein schlechter Job. Du machst innerhalb von 3 Monaten eine schnelle Ausbildung zum Rettungssanitäter und wirst dann auch schon auf die Menschheit losgelassen. Was dich erwartet, ist Abwechslung, sehr schwarzer Humor, und, ich kann es nicht anders beschreiben, menschliche Situationen. Du bist auch irgendwie dein eigener Chef, der hockt ja nicht mit im Auto, wenn du deine 8 bis 12 Stunden Schichten arbeitest, Tag und Nacht. Wer dich herum scheucht sind die Disponenten der Leitstelle, aber wenn du dich mit denen gut verstehst und ihnen hin und wieder entgegen kommst, lassen die auch einiges durchgehen. Wenn man sich halt gegenseitig das Leben leicht macht. Am besten fährst du dein Blaulicht nicht bei einem unangemeldeten McDonalds-Besuch ab, kommt häufiger vor, als man denkt.
Einsätze bekommt unsere Leitstelle entweder durch einen Einsatz-Pool, durch direktes Bestellen oder wenn andere Leitstellen Einsätze loswerden wollen. Der Arbeitstag beginnt damit, privat an die jeweilige Dienstwache zu fahren. Dort hat man kurz Zeit sich umzuziehen, seinen zugewiesenen Einsatzwagen und alles Medizinische zu überprüfen (Notfallrucksack, Sauerstoffflaschen, Absauge,…) und schnell einen Kaffee zu trinken. Ab offiziellem Dienstbeginn bekommst du direkt den ersten ausgedruckten Einsatz. Die weiteren, außerhalb der Wache, telefonisch und über die Funke. Die Leitstelle hat sich schon grob für deinen Wagen einen Tagesplan gemacht, aber du selbst bekommst Einsatz nach Einsatz mitgeteilt. Kann sich ja auch immer was ändern, wenn irgendwas länger braucht oder es zu Ausfällen kommt.
Man ist auf dem KTW regulär zu zweit unterwegs. Bei Patienten-Fahrt ist einer der Fahrer und der andere die Einsatzleitung, befindet sich also beim Patienten selbst, meistens wechselt man sich ab. An sich fährst du Patienten von zu Hause in medizinische/pflegende Einrichtungen, von solchen Einrichtungen zu anderen Einrichtungen oder von diesen Einrichtungen nach Hause. Solche Einrichtungen sind reguläre Arztpraxen, Krankenhäuser, Pflegeheime, psychiatrische Einrichtungen oder Dialysezentren. Letztere übrigens am meisten. Dein Job ist es also den ganzen Tag kreuz und quer durch die Gegend zu fahren und Menschen zu befördern. Am meisten hilft dir Empathie und eine beruhigende Ausstrahlung.
Normalerweise passiert nichts über das zu Erwartende hinaus, aber natürlich kommt es auch bei uns zu Notfällen oder anderen eher heftigeren Sachen. Du bist weder vor allerhand Körperinhalten, noch vor stark belastenden Situationen geschützt. Du erlebst sowohl Fäkalien im Gesicht, als auch den einsamen alten Ehemann, den du alleine mit sich selbst lässt, weil du seine offensichtlich bald sterbende stumme Frau mit intensivem Blick unter Zeitdruck einsammelst.
Du siehst elende Zustände in Pflegeheimen und schlichtweg schrecklich überforderte Menschen. Man selber versucht dabei die sichere Person zu sein, der man vertraut und die einem Halt gibt. Aber so schlimme Dinge du mitbekommst, so schöne Dinge und Situationen erlebst du. Zusammenhalt und Unterstürzung durch Kollegen, Pfleger und Passanten. Wahre Dankbarkeit von Angehörigen, den Patienten oder von der seltsam friedlichen Frau, die du in das Hospiz fährst. Wenn nicht diese Mischung aus Gefühlen einen diese Arbeit weiter glücklich verrichten lässt, dann ist es die Verletzlichkeit und Hilfsbedürftigkeit, um die du dich kümmern willst. Ich habe mir oft gewünscht, dass mehr Menschen diese Erfahrungen sammeln sollten.
Neben Fahrten mit bekannten lustigen Dauerpatienten, sind Fernfahrten am beliebtesten.
Diese können nicht nur in andere Bundesländer plus Übernachtung führen, sondern auch z.B. nach Spanien. Ansonsten ist das Putzen der Einsatzwägen von außen eine angenehme Pause. Unter den Kollegen gibt es natürlich solche und solche, aber im größten Teil, ist es ein wirklich guter Schlag Mensch. Klar macht man das auch irgendwo, um zu gefallen, um was erzählen zu können, aber letzten Endes möchtest du für jemanden da sein, der in Not ist oder Hilfe braucht.
Das ist die eine Sache, die weh tut, du wirst halt leider für deine Gutmütigkeit ausgenutzt: Überraschend abwechslungsreicher Schichtdienst – an verschiedene Wachen; ein nicht versicherter schmerzender Rücken – du lernst ja richtig zu heben; wirklich schlechte Bezahlung – trotz Zuschüssen; vertraglich festgeschriebene Überstundenpflicht – 220 Stunden sind bei Gott keine Seltenheit; völlig übermüdet von Arbeit und Emotionen – aber schön, dass die Leitung mit uns eine große Familie sein möchte, das hilft enorm.
Die Gehälter der Leitung sind übrigens schon seit langem nicht mehr öffentlich einsehbar. Schade eigentlich, es war sehr angenehm zu wissen, dass man auf Augenhöhe ist. Hübsche Autos haben die übrigens allesamt, was man alles so mit Spendengeldern kaufen kann…
Und im Gegensatz dazu gibt es natürlich noch die Ehrenämtler, die wirklich exakt unseren Job machen, tatsächlich sogar eher mehr, nur halt umsonst! Das ist auf jeden Fall das eine was schmerzt.
Gibt es einen sich steigernden Bonus, für transportierte Personen? Ja klar, während Corona durften wir sogar 6 Flüchtlinge auf einmal transportieren, rechtlich eigentlich nicht so erlaubt. Reicht ein Strich als Unterschrift für eine Übernahmeerklärung der Transportkosten? Natürlich, auch bei Menschen, die kein Deutsch sprechen oder betrunken sind, ausdrücklich von der Leitstelle erwünscht, Zitat „wir sind ja keine Wohltätigkeitsorganisation“. Werden Privatpatienten bevorzugt? Aber klar doch.
Das andere sind die Gefühle der Menschen, denen du auf deinen Fahrten begegnest. Nicht nur die der Patienten selbst, sondern auch die der Verwandten, der Freunde und Pfleger. Einem ist klar, wie es laufen sollte. Ein für alle Beteiligten möglichst angenehmer, einfühlsamer Einsatz, der so viel Zeit braucht, wie er halt brauchen sollte. Aber darum geht es nicht, es geht nicht um die Menschen, es geht ums Geld.
Beispielhaft dafür sind die Demenzstationen in Pflegeheimen. Es klingt vielleicht etwas übertrieben, aber du klingelst an einer milchigen Tür und es öffnen sich dir die Pforten des Wahnsinns. Stell dir dutzende zutiefst verstörte und verwirrte alte bis sehr alte Menschen in allen Stadien des körperlichen Zerfalls vor, die in einem bunten Gefühlszustand zwischen verzweifelt, freudig erregt, sehr aggressiv, ekstatisch und depressiv in einer Parallelwelt auf engem Raum gefangen vor sich hin existieren. Dazwischen etwa drei Pfleger, die sich um alles kümmern müssen. Die Türöffner sind fantasievoll versteckt, sonst würden ständig Patienten türmen. Und weil die Patienten dann teilweise plötzlich sehr aktiv sind, fallen die halt auch ständig um oder aus dem Bett, mit ordentlichen Platzwunden als Resultat. Gefunden werden sie meistens erst nach geraumer Zeit, kommen dann ins Krankenhaus, verbringen dort ein paar Stunden, bekommen ein CT, werden von uns wieder zurück gefahren und spätestens nach zwei Tagen liegen sie mit einer Platzwunde wieder auf dem Boden. Bei ein und demselben Patienten kann das auch schon drei mal die Woche passieren. Das Pflegeheim, das Krankenhaus und die Transportunternehmen verdienen sich dabei zufrieden eine goldene Nase.
Ich liebe diesen Beruf und würde ihn ohne zu zögern weiter empfehlen, aber er lutscht dich wirklich komplett aus, die Kollegen wechseln gefühlt im Monatstakt. Seitdem ich den Job gewechselt habe, achte ich natürlich auf unsere KTWs, ich habe bis jetzt kein altes Gesicht gesehen. Es muss sich definitiv etwas ändern und dabei ist es ist herzlich egal, ob es sich um gemeinnütziges Unternehmen handelt, Menschen dürfen keine Ware sein.

