SadK #1 – Woher wir unsere Bildung nehmen

Nochmal die Schulbank drücken? – für viele eine unvorstellbare Idee, ein absurder Gedanke. Schule – ein feindliches Umfeld, Käfig der Kindheit und Jugend. Doch ohne Abschluss sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt meist mau.

Wie die meisten hatte ich als Kind und als Teenager anderes zu tun, als meinen Lehrern zu gefallen. Fiel das in der Grundschule nicht so auf, stieß es spätestens in der 6ten Klasse auf – Fehlzeiten bis zum Abwinken, auffälliges Verhalten, Desinteresse, Rebellion … die Reaktion? Schulpsychologen, Schulbefreiung, Klasse wiederholen und so weiter – so oder ähnlich kennen es viele. Häufig mit ähnlichen Ergebnissen: keine oder schlechte Abschlüsse und bestimmt kein Abitur. Das Ziel? Bloß weg hier. Und dann? Arbeiten oder Ausbildung. Als Frau? Meist Pflege oder Kita.

Jahre später bleibt die Frage, geht da nicht noch mehr? Vielleicht, aber mit dieser Eintrittskarte sicher nicht. Also noch mal Schule? Fernschule ist einsame Abzocke. Für Abendschule braucht man ausreichend anerkannte Berufserfahrung oder eine abgeschlossene Ausbildung. Berufliches Gymnasium mit spezifischer Ausrichtung, sind Vollzeit, drei Jahre, also nur mit BaFög, Jobcenter oder durch Eltern finanziert möglich. Berufliches Gymnasium wird von manchen auch „Erwachsenenbildung“ genannt. Dann sitzt man plötzlich zwischen 15- bis 30-Jährigen und muss sich anhören, dass wir alle kein Deutsch könnten. So weit also nicht viel anders als jede andere Schule auch.

Was ist Schule? Schlechte Noten, brüllende Lehrer, stinkende Klos, gehässige Mitschüler, keine Flucht möglich. Dachte ich zumindest. Und dann fiel es mir wieder auf, Schule ist vor allem Verblendung fürs System und Auslese. Lernen zu buckeln. Pass dich an – dann passiert dir nichts. Zwei hauptsächliche Funktionen von Schule zeigten sich bei näherer Betrachtung: Selektion im Dienste des Arbeitsmarktes und ideologische Anpassung an herrschende Strukturen.

Was Pädagogen heute Allokation nennen, hieß früher Selektion, Auslese. Selektion klingt doch so abwertend … es bleibt dasselbe – Menschen sortieren, in Gewinner, Verlierer und Mittelmaß. Wie auch immer man es nennt, bei uns fand es ganz hervorragend statt. Weniger als ein Drittel der Schülerinnen macht jetzt einen Abschluss, dem Rest wurde im besten Fall doch eine Ausbildung nahegelegt. Die, die ihren Abschluss haben, können zwar meist auch keine grammatikalisch korrekten Texte schreiben, aber ihre Eignung ist ja zertifiziert, also wird es zumindest für mittelmäßige Bürojobs reichen.

Warum die eine bis zum Abschluss kommt und die andere abbricht, fliegt oder einfach wegbleibt, hat wenig mit Intelligenz zu tun. Die Gründe zu bleiben oder zu fliegen, sind so vielfältig wie die Motive der Lehrer- wollen Sie sich als Samariter fühlen? Oder einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten? Das System im System ändern? Ihr Fach und Ihre Leidenschaft vermitteln? Oder einfach nur den Beamtenstatus genießen?

In welcher Schublade man bei wem landet, entscheidet dann über den weiteren Verlauf.
Die meisten sammeln Fehlzeiten wie Klebebildchen – für wen das zum Problem wird?
Die geflüchtete Kurdin kann aus Prinzip schon mal keine guten Deutschnoten erwarten – auch wenn sie mehr über die deutsche Sprache weiß als die Anderen, aber der Akzent und das Kopftuch sprechen doch für sich. Nachdem jede Fehlzeit bei ihr kritisiert wurde, fängt sie dann auch wirklich an Klausuren zu schwänzen – wer soll es verübeln – erwischt sie der Vorwurf doch eh.
Die, die meinen, sie bräuchten gemachte Lippen und neue Nasen, die passen nicht in die Bildungsbürgerschicht, die lässt man ungern rein. Die, denen man die unterdrückte Wut, die Verletzung und das Aufbegehren anmerkt. Die deren Tonfall nicht reinpasst, deren Aufmüpfigkeit nicht gefällt. Die ehemaligen Gymnasiasten sind gerne gesehen, die wissen meist, wie buckeln, wo heulen, welche Knöpfe drücken. Die kennen die Regeln und sehen auch so aus. Zugegebenermaßen sind diese am beruflichen Gymnasium auch in der deutlichen Überzahl – wer sonst soll schon drei Jahre Vollzeitschule von Mami und Papi finanziert bekommen.
Klar, manche kriegen was vom Jobcenter, Bürgergeld oder Bafög, aber da kann es auch mal passieren, dass die nach einem Jahr sagen, dass damit jetzt Schluss ist und nur die (nicht vergütete) Erzieherausbildung gefördert wird. Dass sich schon ein Jahr der Arsch aufgerissen wurde, interessiert dabei auch kein Schwein.

Damit aus dem Gesamtkonzept Schule ein Schuh wird, müssen auch die Unterrichtsinhalte stimmen. Die Kompetenzen, mit denen wir entlassen werden, sind in der Regel eher minderwertig. Der Schwerpunkt der Bildung muss also woanders liegen. Lehrer nennen diesen Fokus „Erziehung zum mündigen Mitglied der Gesellschaft“. Wie Schüler solche werden sollen? Durch Gruppenarbeit, Schülerräte, „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Projekte, Klimaschule, Juniorwahlen und allerlei mehr. Dass „Demokratie lernen“ bei Notengebungszwang, leeren Inhalten, theoretischen Beschlüssen ohne praktische Konsequenzen sowie halbherzigen Debatten mit vorgegebenen Pro- und Contraseiten eher weniger gut funktioniert, fällt dann auch den Lehrern auf. Die schieben die Schuld dann aber auf die unpolitischen Jugendlichen, die sich ohnehin nur für TikTok und Co. interessierten. Da bei dem ganzen Zirkus, aber sowieso keine Demokratie, sondern der nur der vage Schein demokratischer Prinzipen gewahrt werden soll, ist das auch weniger entscheidend. Die Schüler lernen, es ist nichts zu ändern, die Lehrer erhalten ihr Bild der nutzlosen, verlorenen, unpolitischen Jugend von heute.

Kommt Kritik oder Interesse außerhalb der vorgegebenen Inhalte vor, schlägt die Stimmung schnell um. Ich war naiv, im Politikunterricht fragte ich als Erstes nach Kapitalismuskritik – bitte schön: drei Jahre schlechte Noten. Immer allerliebst serviert mit dem Kommentar- „Mir gefällt ihre kritische Art, aber …“ Kritik soll sich bitte immer schon in Grenzen halten. Klimapolitik kritisieren und die Regenbogenfahne zu tragen heißt ein engagiertes Mitglied der Gesellschaft sein. Nachrichtendienste kritisieren oder die grundlegende Struktur des deutschen Staates zu hinterfragen ruft Querdenkenvergleiche und in Ihrem Weltbild erschütterte Lehrer hervor. In Deutschland sei die Presse doch frei und unabhängig und der Staat für uns alle da, das erkenne man doch allein schon an unserer heiligen Meinungsfreiheit.
Die Karte Meinungsfreiheit ist wie das Ass im Ärmel der Lehrer, wenn sich über Missstände beklagt wird – nach dem Motto: Es könnte schlimmer sein, aber du darfst doch eigentlich meistens sagen, was du willst, also beschwere dich bloß nicht… Ja, es könnte schlimmer sein, aber es könnte auch so viel besser sein.

Schule sortiert nicht nur aus und versucht uns das System als größte Freiheit überhaupt zu verkaufen, Schule lehrt uns auch die allgemeinen Werte, inklusive Konkurrenz und Leistungsprinzip. Denn, wie du am Ende abschneidest, hängt von der Leistung deiner Mitschüler ab. Dass Überflieger entstehen und andere unten durchrutschen, steht dabei nicht zur Frage. Der Rest prügelt sich dann um die übrigbleibenden Noten auf der Skala, in der Hoffnung den eigenen Wert auf dem Abschlusszeugnis zu erhöhen. Dass es dabei hässlich wird, dass Petzen, Mobbing und im Endeffekt Spaltung der Schülerschaft zum Schulalltag gehören, wundert dann auch keinen mehr. Und so verlassen wir die Schule, mit halbgarem Allgemeinwissen, einem mehr oder weniger verwertbaren Etikett und den tief verinnerlichten gesellschaftlichen Regeln bei gleichzeitiger tiefer Resignation aufgrund der erlebten Machtlosigkeit. Wir wissen, Schule war scheiße, was wartet wird nicht besser.

Muss das so weiter gehen?